Ein Beitrag von Sevda Can Arslan (mit herzlichem Dank an Selma Güney und Juliane Pfeiffer für ihre kritisch-konstruktiven Anregungen), 30.06.2021

Erster Versuch

Wir wünschten uns mehr fachlich-persönlichen Austausch in unserem Netzwerk – auch zwischen den Tagungen und den neu eingeführten Summer und Winter Schools. Daher nahmen auch wir den Pandemie-Flow mit und starteten unsere neue Online-Talk-Reihe KriKoWi : talks!

Los ging es am 18. Mai 2021 mit dem Thema „Diversität“ – Trendiges Buzzword oder Wandel im Journalismus? Anlass war der im März dieses Jahres erschienene Diversity Guide, ein Handbuch für Vielfalt der Neuen deutschen Medienmacher*innen, das sich speziell an deutsche Medienhäuser richtet. Eingeladen war Prof. Dr. Christine Horz-Ishak, Professorin für Transkulturelle Medienkommunikation an der TH Köln, die die Entwicklung des Guides wissenschaftlich begleitet hat und seit langem zu Vielfalt in deutschen Medien forscht. Perspektiven aus der Praxis brachte Samira El Hattab ein: Sie ist Journalistin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und Stipendiatin des Programms „Medienvielfalt, anders“ der Hans-Böckler-Stiftung. Die Moderation haben Selma Güney und ich übernommen, hinter den digitalen Kulissen wirkte Juliane Pfeiffer.

Auf technischer Ebene ist so ziemlich alles schiefgelaufen, was geht, durften wir bei unserem ersten Experiment einige Lernerfahrungen sammeln: ein Zoom-Raum genügt völlig, am besten geschützt gegen automatisierten Schrei-Spam, Rechner-Updates sollten lieber vor Veranstaltungsbeginn abgeschlossen sein und ein bisschen Extra-Datenvolumen schadet nie, denn bei Mai-Gewitter fällt das Internet im Homeoffice gern mal aus.

Die Werbung über unseren Mail-Verteiler, Twitter und Facebook lief sehr gut – und vielleicht half es ja auch, dass der Talk zufällig auf den „Diversity Day“ fiel (keine Erfindung der Blumenindustrie sondern der UNESCO). Es schalteten sich am Ende mehr als 20 Menschen dazu: Wissenschaftler_innen von Studi bis Dozent_in, Praktiker_innen aus der Medienpolitik und dem Journalismus, von Jena über Münster, aus Berlin und Wien, bis nach Salzburg und Zürich.

Endlich Daten

Zum Einstieg präsentierte Horz-Ishak unter dem Titel Viel Wille, kein Weg. Diversity im deutschen Journalismus Ergebnisse ihrer bisherigen Forschung (Vortragsfolien als PDF). Sie argumentiert, dass Diversität in den Medien wichtig ist, da Medien in der Demokratie „zugleich Medium und Faktor der Meinungsbildung“ sind. Die Schlagzeilen und Symbolbilder, die sie anschließend anführt, machen klar: Die Medien sind voller rassistischer Frames und Stereotypen.

Die Befunde bisheriger Forschung verdeutlichen: Mit Diversität sieht es auf allen Ebenen richtig mies aus. Ihre Umfragen und Einzelinterviews aus dem Jahr 2019 zeigten aber: „Medienverantwortliche begreifen Diversität als Normalität“, das sei „positiv“ und „mutmachend“. Auch die hohe Rücklaufquote bei der neuen Studie spräche für einen Wandel, für mehr Awareness.

Zum Abschluss stellte uns Horz-Ishak die im Diversity Guide ausführlich erklärten Empfehlungen für Medienunternehmen vor, um Diversitätsanliegen auch umzusetzen:

Die Ausführungen von Horz-Ishak trafen auf einhellige Zustimmung der Talk-Teilnehmenden. El Hattab meinte, dass sich die vorgestellten Befunde mit ihrem Alltag deckten. Kefa Hamidi, Leiter des Forschungszentrums Entwicklungskommunikation – Communication for Social Change (EC4SC) an der Uni Leipzig und in dieser Runde als Teilnehmer dabei, freut sich, dass mit der Studie endlich empirische Evidenz da ist für die Organisationen, die in dem Bereich arbeiten. Horz-Ishak meint, dass die aktuelle Awareness der Chefredakteur*innen auch auf den jahrelangen Druck durch Lobby-Organisationen, Wissenschaft und Praxis zurückzuführen sei. Da sich Strukturen aber nur langsam und nicht von alleine änderten, müssten wir alle daran mitarbeiten, diesen Druck aufrecht zu erhalten. Nur so können, laut Horz, tatsächliche Änderungen bewirkt werden.

Diversität ist umfassend …

Konsens bestand an diesem Abend darüber, dass das Verständnis von Diversität nicht bei Menschen, die von Rassismus betroffen sind, enden sollte. Der Anspruch an Vielfalt bedeutet, dass auch Menschen aus allen anderen marginalisierten Gruppen, also unter anderem Menschen mit Lernbehinderungen oder psychischen Erkrankungen, einbezogen werden sollten. Um journalistischen Nachwuchs bspw. auch aus Familien mit prekären Verhältnissen zu erhalten, brauche es laut El Hattab nicht zuletzt andere Arbeitsbedingungen. Praktika beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk würden bisher nicht oder nur unzureichend bezahlt (siehe dazu auch hier). Sie selbst hätte ohne ihr Stipendium gar nicht die materielle Grundlage gehabt, um Journalistin zu werden. Grundsätzlich gelte es nun aber, Hürden für alle abzubauen.

… und kann nur ein Anfang sein

Im weiteren Verlauf diskutierten wir Probleme, die u. a. die häufige Reduktion von Diversität auf Repräsentation mit sich bringt: Von Rassismus betroffene Journalist*innen werden bspw. auf Themen wie Rassismus oder auch Themen aus den ihnen zugeschriebenen Communities festgelegt (Stichwort: Kronzeug*innen). El Hattab verwehrt sich dieser Festlegung, sie selbst übernehme z. B. viel Klimaberichterstattung. Manche ihrer Mitstipendiat*innen, so El Hattab weiter, würden aber auch gerne zu ihrer eigenen Lebensrealität schreiben wollen.

Weiterhin zeigte sich, dass es (noch) komplizierter wird, wenn es um den Inhalt geht: Sorgen von Rassismus betroffene Medienschaffende automatisch für eine rassismuskritische Berichterstattung? Wird die Bild aufgrund einer Frau an der (Co-)Spitze weniger sexistisch? Nein, stellte Horz-Ishak klar. Ihre Befragten sähen zwar einen Zusammenhang zwischen der Pluralisierung der Redaktionen und der Pluralisierung der Themen. Es gäbe aber keine Hinweise darauf, dass die Inhalte durch Repräsentation automatisch weniger diskriminierend sind.

Solch eine essentialisierende Erwartung würde mir auch unsinnig erscheinen. Nur weil eine Person an den Rändern einer Gesellschaft positioniert ist, entwickelt sie nicht zwingend eine kritische Perspektive. Ich wies an dieser Stelle auch auf eine andere Gefahr von Diversität als Trend hin: Die bürgerliche Vereinnahmung und eine damit einhergehende Entleerung des Begriffs. Um dieser Integration ins Bestehende entgegenzuwirken und die Verhältnisse nachhaltig zu ändern, benötigt es m. E. einer wachsamen und starken Gegenorganisation.

Stipendienprogramme und Netzwerke können ein erster Schritt zu dieser Selbstorganisierung sein – zumal sich dort ein Gemeinschaftsgefühl herausbilden würde. El Hattab berichtete von der von ihr erlebten Kooperation statt Konkurrenz. So wiesen ihre Kolleg*innen sich gegenseitig auf nützliche Kontakte hin oder unterstützten sich bei der Jobsuche.

Vom Journalismus zu seiner Wissenschaft

Doch was haben wir KriKoWis eigentlich mit den Missständen im Journalismus zu tun? Horz-Ishak kritisiert die bisherige Integrationsforschung. Sie fordert die Wissenschaftler_innen auf, mehr zu Diversität in den Medien zu forschen und dabei Stakeholder_innen zu involvieren, um so Partizipation zu ermöglichen. Eine solche Forschung bräuchte natürlich finanzielle Förderung, wobei bisher kaum öffentliche Gelder dafür zur Verfügung gestanden hätten. Die Studie von Horz-Ishak wurde von der Google News Initiative finanziert (die übrigens neben dem Diversity Guide auch andere Projekte der Neuen deutschen Medienmacher*innen unterstützt hat). Der Konzern habe ihr zwar nicht in ihre Untersuchungen reingeredet, doch eigentlich wünsche sie sich maximale Unabhängigkeit. Hamidi weist außerdem darauf hin, dass es mehr Lehre zu Diversität im Journalismus geben müsse, in Großbritannien gäbe es dazu sogar eigene Studiengänge. Um darüber hinaus die „tiefe Internationalisierung“ in unserem Fach zu diesem Thema voranzutreiben, haben sich Horz-Ishak und Hamidi einer Initiative angeschlossen, die den Zugang zu Forschungsliteratur aus bisher unsichtbar gemachten Regionen dieser Welt fördern will (hier geht es zum Plädoyer von Badr et al., 2020, Ansprechpartnerin für das Projekt ist Prof. Dr. Carola Richter).

Fazit: Do it together

Nach 90 Minuten intensivem Austausch mit den Panelist*innen, in einer kurzen Breakout-Session zwischen den einzelnen Teilnehmer*innen und dann noch mit Fragen und Kritik in großer Runde bleibt für mich die Erkenntnis: Alles muss man selber, aber gemeinsam machen. Damit Diversity nicht von der aktuellen Konjunktur abhängt, gilt statt DIY nun DIT: Do it together. Und: An den Ansprüchen, die wir an den Journalismus stellen, muss sich auch die Wissenschaft messen lassen.

Wir wollen mit den KriKoWi : talks am Thema Diversität dranbleiben und dabei auch andere Aspekte wie Inklusion, Gender und Mehrsprachigkeit in den Medien aufgreifen. Stay tuned!

Über Tipps zu konkreten Themen, Studien und Personen freuen wir uns sehr. Schickt uns gerne eine E-Mail.

die vier Frauen, die den Talk gestaltet haben, in ihren Zoom-Kacheln

Einen Mitschnitt vom Talk könnt ihr euch auf unserem Youtube-Kanal anschauen.